Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure der britischen, französischen und amerikanischen
Besatzungszone zum Grundgesetz
vom 12. Mai 1949
Herrn Dr. Konrad Adenauer
Präsident des Parlamentarischen Rates
Bonn
Sehr geehrter Herr Dr. Adenauer !1. Das am 8. Mai vom Parlamentarischen Rat angenommene
Grundgesetz hat
unsere sorgfältige und interessierte Aufmerksamkeit gefunden. Nach
unserer Auffassung verbindet es in glücklicher Weise deutsche demokratische
Überlieferung mit den Prinzipien einer repräsentativen Regierung
und einer Rechtsordnung, die die Welt als für das Leben eines freien
Volkes unerläßlich betrachtet.
2. Indem wir die Verfassung genehmigen, damit sie gemäß Artikel
144 (1) dem deutschen Volke zur Ratifizierung unterbreitet werde, nehmen
wir an, daß Sie verstehen werden, daß wir verschiedene Vorbehalte
machen müssen. Zum ersten unterliegen die Befugnisse, die dem Bund
durch das Grundgesetz übertragen werden, sowie die von den Ländern
und den örtlichen Verwaltungskörperschaften ausgeübten Befugnisse
den Bestimmungen des Besatzungsstatutes, das wir Ihnen schon übermittelt
haben und das mit dem heutigen Datum verkündet wird.
3. Zweitens versteht es sich, daß die Polizeibefugnisse, wie sie
in Artikel 91(2) enthalten sind, nicht ausgeübt werden dürfen,
bis sie von den Besatzungsbehörden ausdrücklich gebilligt sind.
In gleicher Weise sollen die übrigen Polizeifunktionen des Bundes
im Einklang mit dem in dieser Frage an Sie gerichteten Schreiben vom 14.
4. 49 ausgeübt werden.
4. Ein dritter Vorbehalt betrifft die Beteiligung Groß-Berlins
am Bund. Wir interpretieren den Inhalt der Artikel 23 und 144 (2) des Grundgesetzes
dahin, daß er die Annahme unseres früheren Ersuchens darstellt,
demzufolge Berlin keine abstimmungsberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag
oder Bundesrat erhalten und auch nicht durch den Bund regiert werden wird,
daß es jedoch eine beschränkte Anzahl Vertreter zur Teilnahme
an den Sitzungen dieser gesetzgebenden Körperschaften benennen darf.
5. Ein vierter Vorbehalt bezieht sich auf die Artikel 29 und 118 und
die allgemeinen Fragen der Neufestsetzung der Ländergrenzen. Abgesehen
von Württemberg-Baden und Hohenzollern hat sich unsere Haltung in
dieser Frage, seitdem wir die Angelegenheit mit Ihnen am 2. März besprochen
haben, nicht geändert. Sofern nicht die Hohen Kommissare einstimmig
eine Änderung dieser Haltung beschließen, sollen die in den
genannten Artikeln festgelegten Befugnisse nicht ausgeübt werden und
die Grenzen aller Länder mit Ausnahme von Württemberg-Baden und
Hohenzollern bis zum Zeitpunkt des Friedensvertrages, so wie sie jetzt
festgelegt sind, bestehen bleiben.
6. Wir sind fünftens der Auffassung, daß Artikel 84, Absatz
5, und Artikel 87, Absatz 3, dem Bund sehr weitgehende Befugnisse auf dem
Gebiet der Verwaltung geben. Die Hohen Kommissare werden der Ausübung
dieser Befugnisse sorgfältige Beachtung schenken müssen, um sicherzustellen,
daß sie nicht zu einer übermäßigen Machtkonzentration
führen.
7. Bei unserer Zusammenkunft mit Ihnen am 25. April unterbreiteten wir
Ihnen eine Formel, in der auf englisch der Sinn des Artikels 72 (2), 3,
wiedergegeben war. Diese Formel, die Sie annahmen, da Sie Ihre Auffassung
wiedergebe, lautete wie folgt:
"weil die Wahrung der Rechts- oder wirtschaftlichen Einheit sie erfordert,
um die wirtschaftlichen Interessen des Bundes zu fördern oder eine
angemessene Gleichheit wirtschaftlicher Möglichkeiten für Alle
sicherzustellen." Wir möchten Sie davon unterrichten, daß die Hohen Kommissare
diesen Artikel in Übereinstimmung mit dem vorliegenden Text auslegen
werden.
8. Um die Möglichkeit zukünftiger Rechtsstreitigkeiten auszuschalten,
möchten wir klarstellen, daß wir bei der Genehmigung der Verfassungen
für die Länder bestimmten, daß nichts in diesen Verfassungen
als Beschränkung der Bestimmungen der Bundesverfassung ausgelegt werden
kann. Ein Konflikt zwischen den Länderverfassungen und der vorläufigen
Bundesverfassung muß daher zugunsten der letzteren entschieden werden.
9. Wir möchten es auch klar verstanden wissen, daß nach Zusammentritt
der gesetzgebenden Körperschaften, die das Grundgesetz vorsieht und
nachdem entsprechend dem im Grundgesetz festgelegten Verfahren die Wahl
des Präsidenten sowie die Wahl und Ernennung des Kanzlers bzw. der
Bundesminister erfolgt sind, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland
konstituiert ist und das Besatzungsstatut daraufhin in Kraft tritt.
10. Nach Vollendung seiner letzten Aufgabe, wie sie in Artikel 145,
Absatz 1, festgelegt ist, wird der Parlamentarische Rat aufgelöst.
Wir möchten diese Gelegenheit benützen, um die Mitglieder des
Parlamentarischen Rates zur erfolgreichen Vollendung ihrer unter kritischen
Verhältnissen durchgeführten schwierigen Aufgabe sowie zu der
offenkundigen Sorgfalt und Gründlichkeit, mit der sie ihre Arbeit geleistet haben,
und zu der Hingabe an demokratische Ideale, nach deren Erreichung wir alle
streben, zu beglückwünschen. Frankfurt, den 12.
Mai 1949 B. H. Robertson General
Militärgouverneur
Britische Zone
Pierre Koenig
General d‘Armee
Miltärgouverneur
Französische Zone
Lucius D. Clay
General, US Army
Militärgouverneur
Amerikanische Zone
Quellen: Amtsblatt der Militärregierung
Deutschlands, Britisches Kontrollgebiet, Nr. 35, Teil 2 B
Rechtsstellung
Deutschlands (dtv 5552, Ausgabe 1985) Rauschning, Die Gesamtverfassung
Deutschlands, S. 69-70 ©
5. September 2000 - 13. April 2004
|